Die SPD-Politikerin Christine Lambrecht über Hatespeech im Netz, den Sinn von härteren Strafen – und ihren Rückzug aus dem Bundestag.
Frau Lambrecht, am 3. April ist das Gesetz gegen Hasskriminalität in Kraft getreten – Ihr Herzensprojekt und ein Schlusspunkt nach einer langen Hängepartie. Sind Sie erleichtert?
Ja. Wir müssen die Spirale von Hass und Gewalt stoppen, die im Netz beginnt und in schrecklichen Verbrechen wie in Halle und Hanau enden kann. Rassismus, Antisemitismus, Hetze gegen Politikerinnen und Politiker, Journalisten oder Wissenschaftler – all das ist in der Pandemie oft noch aggressiver als zuvor. Dem schauen wir nicht zu, sondern wir handeln.
Was erhoffen Sie sich von dem Gesetz?
Ab jetzt können Polizei und Justiz sehr viel entschiedener gegen menschenverachtende Hetze vorgehen. Künftig müssen soziale Netzwerke Mord- oder Vergewaltigungsdrohungen nicht mehr nur löschen, sondern auch dem Bundeskriminalamt melden. Das wird zu schnellen und konsequenten Ermittlungen gegen Hetzer führen – bevor aus ihren Worten Taten werden.
Aber was ist Hassrede eigentlich?
Wir konzentrieren uns auf strafbare Hasskriminalität. Da geht es um Bedrohungen, Beleidigungen oder Volksverhetzungen. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Straftaten müssen hier genauso verfolgt werden können wie in der analogen Welt.
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Warum sind Hassreden eine Gefahr für die Demokratie?
Weil Drohungen und Diffamierungen zu einem Klima der Angst führen. Immer mehr Menschen ziehen sich zurück. Viele wollen sich in sozialen Netzwerken nicht mehr politisch äußern. Was dort beginnt, setzt sich fort bei der Frage, wer überhaupt noch bereit ist, für einen Stadtrat zu kandidieren. Viele sagen: Die Anfeindungen gegen mich und meine Familie tue ich mir nicht mehr an.
Gehören nicht auch Äußerungen, die empören und entsetzen, zu einer freien Gesellschaft?
Die Meinungsfreiheit reicht aus guten Gründen sehr weit: Protest, Provokationen und scharfe Auseinandersetzung, all das gehört zur freien Debatte. Aber Einschüchterung und Gewalt nicht.
Letztlich ist Hass ein Gefühl. Macht es Sinn, rechtlich dagegen vorzugehen?
Sehr häufig sind es menschenverachtende Ideologien, die zu Hass und Gewalt führen. Wenn die Grenze zur Strafbarkeit überschritten ist, muss der Staat eingreifen. Als Gesellschaft sind wir gefragt, gegenzuhalten und uns mit denen solidarisch zu zeigen, die angegriffen werden.
Manche Experten sprechen heute von der „neuen Lust auf Strafe“. Mehr Härte – ist das der richtige Weg?
Es geht nicht um besonders harte Strafen, sondern um das Setzen von Grenzen. Es muss jedem klar sein, dass eine Morddrohung keine Meinungsäußerung ist, sondern eine Straftat, die Konsequenzen hat.
Frau Lambrecht, Sie treten bei den Herbstwahlen nicht mehr an. Ist Ihnen in den vergangenen 23 Jahren als Bundestagsabgeordnete viel Hass begegnet?
Ich bekomme viele Drohungen. Der Hass, gerade auf Frauen, die Politik machen, ist in den letzten Jahren sehr viel schlimmer geworden. Aber ich ziehe mich nicht deshalb aus der Politik zurück. Nach 23 Jahren ist Zeit für Neues. Und darauf freue ich mich.

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