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Der Bundesregierung zufolge hält die Türkei 119 Bundesbürger fest. Mehr als die Hälfte der Betroffenen sitzt in Haft – Erdogans Reaktion auf kritische Kommentare in den Sozialen Medien?
Istanbul – Deutschland und die Türkei streiten seit Jahren darüber, dass Ankara die Grenzen der freien Meinungsäußerung bereits bei Äußerungen überschritten sieht, die nach europäischem Verständnis toleriert werden müssten. Die türkische Oppositionspartei CHP hat ausgerechnet, dass die türkische Justiz seit Erdogans Amtsantritt als Staatschef vor sieben Jahren knapp 38 600 Anklagen wegen Präsidentenbeleidigung erhoben hat – in den Amtszeiten der letzten fünf Präsidenten vor Erdogan lag die Zahl demnach bei insgesamt etwa 1800.
Besonders Deutsche türkischer Herkunft laufen bei Besuchen in der Türkei Gefahr, wegen Äußerungen in den sozialen Medien festgenommen und vor Gericht gebracht zu werden. Anlass sind häufig Kritik an Erdogan oder Kommentare zur Kurdenpolitik, die als Unterstützung für die Terrororganisation PKK gewertet werden.
Wie jetzt aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Politikerin Gökay Akbulut hervorgeht, die unserem Istanbuler Büro vorliegt, hält die Türkei derzeit fast 120 Bundesbürger fest. Etwas mehr als die Hälfte der Betroffenen sitzt demnach in Haft, die anderen können die Türkei wegen Ausreisesperren nicht verlassen. Nach Angaben von Akbulut werden viele Deutsche wegen kritischer Kommentare über Präsident Recep Tayyip Erdogan oder dessen Regierung in den sozialen Medien festgehalten. Die Bundestagsabgeordnete aus Mannheim wirft der Regierung vor, sich nicht energisch genug für unschuldig inhaftierte Deutsche einzusetzen.
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Das Auswärtige Amt in Berlin erklärte in der Antwort auf Akbuluts Anfrage, die Bundesregierung wisse von 61 inhaftierten Bundesbürgern und weiteren 58 Deutschen, die mit Ausreisesperren belegt worden seien. Außerdem sei seit Jahresbeginn vier Bundesbürgern die Einreise in die Türkei verweigert worden. Die Gründe für die Inhaftierungen und Ausreisesperren wurden in der Antwort nicht aufgeführt. Deshalb ist unbekannt, wie viele Deutsche wegen politischer Vorwürfe festgehalten werden und in welchen Fällen es um Straftaten wie Drogenhandel geht.
„Deutsche Staatsangehörige werden weiterhin willkürlich festgenommen, mit einer Ausreisesperre belegt oder ihnen wird die Einreise in die Türkei verweigert“, bestätigt das Auswärtige Amt in seinen aktuellen Reisehinweisen für die Türkei. Der Terrorismus-Begriff werde von den türkischen Behörden nach Auffassung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes „rechtsstaatswidrig“ ausgeweitet, erklärt das Außenministerium. Die türkische Regierung weist den Vorwurf zurück.
Bundesaußenminister Heiko Maas hatte am Sonntag bei einem Besuch im südtürkischen Antalya mit seinem Kollegen Mevlüt Cavusoglu über die Lage in Afghanistan und die Flüchtlingsfrage gesprochen. Dabei stellte Maas der türkischen Regierung finanzielle und technische Hilfe in Aussicht, falls die Türkei die Leitung des Flughafens von Kabul übernehmen sollte. Nach Angaben von Erdogan laufen derzeit Verhandlungen zwischen Ankara und den Taliban.
Kritiker halten der Bundesregierung vor, wegen der wichtigen Rolle der Türkei in der Flüchtlingsfrage auf Sanktionen gegen Ankara wegen der Verhaftungen zu verzichten. Dabei habe die Bundesregierung viele Möglichkeiten, Druck auf die Türkei auszuüben, sagte Akbulut. Als Beispiele nannte sie die Kürzung sogenannter Hermesbürgschaften, mit denen Türkei-Geschäfte deutscher Unternehmen abgesichert werden, und einen Stopp von Waffenlieferungen an den Nato-Partner.
Die türkische Regierung verhandelt mit den Taliban ein Abkommen, um künftig den Flughafen der afghanischen Hauptstadt zu leiten. Die Übernahme könnte weitere Evakuierungen ermöglichen.
Die erste nachträgliche Ausreise afghanischer Ortskräfte zeigt, dass die Taliban durchaus verhandeln wollen. Das könnte den entstandenen Schaden ein Stück weit begrenzen, meint unser Berliner Korrespondent Christopher Ziedler.
Bei rund 120 Festgehaltenen kann keine Rede mehr von Einzelfällen sein. Berlin muss härter durchgreifen, meint unsere Istanbul-Korrespondentin Susanne Güsten.
Die letzten Evakuierungsflieger haben Kabul vor Tagen verlassen. Doch viele Tausend Afghanen warten noch in verschiedenen Ländern und provisorischen Unterkünften auf ihre Umsiedlung – etliche davon in Ramstein.
Die EU wirft Belarus vor, gezielt Flüchtlinge anzulocken und diese nach Litauen zu schicken. Jetzt greift der Irak ein und holt seine Staatsbürger zurück.
«Es gibt keinen Impfstoff gegen die Klimakrise», heißt es in einem wohl beispiellosen Appell von Fachjournalen. Staats- und Regierungschefs werden darin zu dringendem Handeln aufgefordert.
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