Kölner Dom am Abend: »Auch das Erzbistum steht nicht über dem Gesetz«
Es war erstaunlich viel los im Kölner Arbeitsgericht an diesem sonnigen, fast heißen Freitagmittag. Kamerateams, Journalisten und Zuschauer drängten sich in einem kleinen, dem Anlass eigentlich angemessenen Sitzungssaal: Hier klagte eine ehemalige Angestellte des Erzbistums Köln gegen ihre fristlose Kündigung und eine offenbar gegen ihren Willen erfolgte Versetzung in den Ruhestand.
Doch die Frau, deren Name nicht genannt werden soll, ist nicht irgendeine wütende Arbeitnehmerin, die ihr Recht verlangt. Sie arbeitete als Justiziarin für den umstrittenen Erzbischof Rainer Maria Woelki, leitete die Rechtsabteilung des Erzbistums und war dem Vernehmen nach maßgeblich an der Beauftragung der Münchner Kanzlei Westphal Spilker Wastl (WSW) mit dem ersten Missbrauchsgutachten des Erzbistums beteiligt.
Der undurchsichtige Umgang Kardinal Woelkis mit diesem Gutachten, das zunächst wegen rechtlicher Bedenken zurückgehalten und dann durch ein neues ersetzt wurde, hatte einen veritablen Skandal ausgelöst.
Die Klägerin, die nicht vor Gericht erschien, war von Amts wegen mit zahlreichen Missbrauchsfällen befasst. Sie könnte mithin über brisantes Insiderwissen verfügen, das Kardinal Woelki und andere Geistliche zusätzlich in die Bredouille bringen könnte. Etwa den Weihbischof Dominik Schwaderlapp oder den Hamburger Erzbischof Stefan Heße, denen Pflichtverstöße bei der Missbrauchsaufarbeitung vorgeworfen werden.
Die Juristin klagt gegen ihre fristlose Kündigung sowie die Versetzung in den Ruhestand und verlangt mindestens 50.000 Euro Schmerzensgeld. Die Sitzung am Arbeitsgericht in Köln war ein Gütetermin, eine Standardveranstaltung, um die Positionen der Parteien abzuklopfen und sich eventuell zu einigen. Doch von Güte war nicht viel zu spüren. Der Anwalt der Klägerin, der Münchner Arbeitsrechtler Stephan Vielmeier, hatte im Vorfeld via »Bild«-Zeitung mögliche Enthüllungen seiner Mandantin angekündigt. Er gab sich vor Gericht angriffslustig.
Ein Arbeitgeber könne nicht einfach einseitig eine erkrankte Mitarbeiterin in den Ruhestand versetzen, erklärte er. »Auch das Erzbistum Köln steht nicht über dem Gesetz.« Bei einer Untersuchung seiner Mandantin durch eine Vertrauensärztin sei zudem festgestellt worden, dass sich ihr Gesundheitszustand voraussichtlich bessern werde.
Die Ex-Justiziarin leidet dem Anwalt zufolge unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, ausgelöst durch ihre intensive Beschäftigung mit Missbrauchsakten und deren belastendem Inhalt. Im Rahmen ihrer Beschäftigung mit den beiden jüngsten Kölner Missbrauchsgutachten sei sie retraumatisiert worden. Dennoch sei vom Arbeitgeber 18 Monate lang »konsequent und intensiv« eine Kampagne gegen sie gefahren worden.
Als Grund für die fristlose Kündigung gab der Anwalt des Bistums an, die Ex-Justiziarin habe während der Coronapandemie »klammheimlich« einen Bürostuhl mit nach Hause genommen – laut Anwalt Wolfgang Glöckner ein »illegaler« Vorgang. Bei dem Sitzmöbel handele es sich um »einen Gegenstand von durchaus erheblichem Wert«, den man nicht einfach entwenden könne. Abgesehen davon habe die Klägerin sich kurz nach dem Vorfall krankgemeldet: »Sie hat den Stuhl nicht fürs Homeoffice verwendet.«
Die sei »der absurdeste Kündigungsgrund«, von dem er in seiner Laufbahn je gehört habe, konterte Anwalt Stephan Vielmeier. Sicher, seine Mandantin habe »Kardinal Woelki nicht persönlich um Erlaubnis gefragt«. Aber sie habe den rückenschonenden Stuhl gebraucht wie zahllose andere Arbeitnehmer in Deutschland im Homeoffice. Es handele sich nicht um eine Pflichtverletzung, sondern allenfalls ein Missverständnis, das keine Kündigung eines langjährigen Beschäftigungsverhältnisses rechtfertige.
Kardinals Woelkis Umgang mit den Missbrauchsgutachten hatte zu erboster Kritik und Protesten im Erzbistum und bundesweit geführt. Etliche Gläubige traten aus der katholischen Kirche aus. Im Juni hatten zwei Bevollmächtigte des Papstes die Situation in Köln untersucht und einen Bericht angefertigt. Franziskus‘ Antwort darauf steht noch aus.
Die ehemalige Justiziarin hat sich bisher nicht zur Sache geäußert. Während sie im ersten Missbrauchsgutachten der Kanzlei WSP offenbar nicht erwähnt wird, werden ihr im zweiten Gutachten von Gercke Wollschläger neun Pflichtverletzungen attestiert, allesamt Verstöße gegen die Meldepflicht von Missbrauchsdelikten. Die Juristin habe allerdings großen Einsatz bei der Bearbeitung der Fälle gezeigt und sei in regelmäßigem Kontakt mit der Staatsanwaltschaft gewesen, heißt es im Gutachten. Alle Fälle seien nach weltlichem Strafrecht verjährt gewesen.
Während auch ehemalige Mitarbeiter ihre Tatkraft und den Willen zur Konsensfindung loben, wird im Erzbistum lanciert, die Klägerin habe als tragende Figur im Hintergrund die Missbrauchsaufarbeitung mit verbockt, sich aber nicht der Verantwortung stellen wollen. Deshalb wolle man sie loswerden. Man darf gespannt sein, ob die wahren Gründe für die Kündigung je ans Licht kommen.
Der Gütetermin brachte jedenfalls keine Annäherung zwischen den Parteien. Das Gericht hat die nächste Sitzung für den 18. Januar 2022 anberaumt.
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